Bericht über die Lascarbesteigung 1997 für die ANDINA

„VOM BAD IN DIE KÜCHE DES TEUFELS“

Den Grundstein für meine “weltweite Umtriebigkeit“, meine unersättliche Neugier auf alles mir Unbekannte, legte ich auf einer Patagonien-Tour 1995. Danach wieder zurück in Deutschland, fiel mir die Merian-Ausgabe über Chile in die Hände. An einem Bild blieb ich förmlich „kleben“. Ein einsamer Motorradfahrer stand vor der gewaltigen Eruption des Vulkans Lascar. Welche Urgewalt, welche Faszination, welche beängstigende Situation, zugleich anziehend wie auch abschreckend. Eine riesige Aschewolke verdunkelte den stahlblauen Himmel, stieß an die oberste Grenze der Atmosphäre an, und breitete sich pilzartig aus. Ich konnte mich einfach nicht Sattsehen, an diesem diabolischen Inferno. Hier wird Leben geschaffen und vernichtet. Hier dauert die Jahrmillionen währende Erschaffung der Welt immer fortwährend an. Vulkane sind oft heilige Orte, an denen den Göttern und Heiligen dieser Erde gehuldigt wird, egal von welcher religiösen Bedeutung oder Richtung. Oft wird auf sie gestiegen, um den Göttern nahe zu sein. Ob in Japan der Fujisan, auf Bali den Gunung Agung, in Neuseeland der Ruapehu oder in der Vergangenheit die vielen „Intitrohne“ der Inkas, sie alle sind oder waren der Sitz von Göttern. Immer schon waren die Menschen fasziniert von diesen markanten Landmarken. Ich zähle mich, dank dieses Bildes, nun auch dazu. Eines stand fest, ICH WOLLTE - ICH MUSSTE AN DIESEN BERG.

Mitten in der chilenischen Atacama gelegen, nicht gerade das klassische Reiseziel aus dem Schnäppchenkatalog. Ich kannte auch niemanden, der in absehbarer Zeit in diese „gottverlassene“ Gegend unseres Erdballs aufbrechen wollte. Doch das Glück meinte es gut mit mir. „Mein Berg“ wurde bei einer Tour zum Nevado Ojos del Salado angeboten, sozusagen als Akklimatisationstour. Auf die Beschreibung unserer Ojosbesteigung möchte ich verzichten, auch wenn die Rahmen-bedingungen im November 1997 alles andere als normal waren. Nur so viel, dank El Nino lag so viel Schnee in diesem Gebiet, dass wir den Aufstieg zu Fuß schon an der alten Ruine der Hosteria Murray beginnen mussten. Eine ziemliche Schinderei, die mich an meine Grenzen stießen ließ. Aber wenigstens hatten wir so das „Erlebnis“ am Berg intensiver erfahren können.

 

Über Santiago de Chile und Antofagasta gelangten wir nach Calama, unserem Startpunkt in Richtung Einsamkeit! San Pedro de Atacama ( auf 2438 m Höhe ), was für ein extremer Kontrast. Gerade noch die „Errungenschaften der Neuzeit“, mit all dem Lärm und Staub, und dann die Ruhe und Beschaulichkeit dieses kleinen Oasenstädtchens. Ein richtiges Labsal für Seele, Körper und Geist. Die Tagestour in die bizarre, fast apokalyptische Landschaft des Quebrada Honda, eines der vielen kleinen Seitentäler der Cordilliera de la Sal südlich von San Pedro, war für mich eine bis dahin nicht gekannte Welt, voller fantastischer „Fabelwesen“ aus Sand, Stein und Salz. Der Abendausflug zur „Duna Grande“, mit Blick auf die gleichmäßige ja fast symmetrische Gestalt des Licancabur, wirkte einfach nur surreal, irgendwie nicht von dieser Welt. Viele Male schon auf Bildern gesehen, aber immer wieder atemberaubend und faszinierend. Der bekannte Bergsteiger Walter Bonatti war von diesem fast 6000m hohen Berg sehr angetan, als er Anfang der 70er Jahre des 20.Jhd. dieses Gebiet durchstreifte. In mühsamen 30 Stunden schindete er sich von San Pedro de Atacama auf den Gipfel, immer auf den Spuren der alten Inkapriester. Diese hielten oben auf dem Berg ihre rituellen Handlungen ab, um die Götter zu besänftigen. Einige Ruinen finden wir noch heute am und auf dem Berg, auch wurden im See der Caldera zahlreiche wertvolle Artefakte aus jener Zeit gefunden.

Weg vom BC zum Lascar
Weg vom BC zum Lascar

Die Badesachen mit in die Wüste zu nehmen, klingt zunächst erst einmal wie der erste Anflug von Höhenkrankheit. Obwohl ja angeblich in der Wüste mehr Menschen ertrinken als verdursten sollen. Aber in der chilenischen Hoch-wüste gibt es unzählige Quellen, ein Zeichen des noch aktiven Vulkanismus. Die Banos de Puritama lagen auf unserem Weg zum Geysirfeld von El Tatio, und boten sich für ein Zeltlager, sowie ein überschwängliches Badevergnügen gerade zu an. All den Wüstenstaub, der sich in sämtliche Ritzen angesammelt hatte konnte man hier nun endlich loswerden, um Platz zu schaffen für den nächsten, der sich ja sowieso unweigerlich wieder festsetzen würde. Eigentlich eine Sisyphusarbeit, aber es ist so schön angenehm und erholend in den heißen Quellen zu sitzen. Zumal uns schon die nächste Bademöglichkeit versprochen wurde, spätestens in drei Tagen. Na super, oder sollte das Ganze gar zur rituellen Reinigung dienen. Mir konnte und sollte es nur recht sein.

 

Immer höher schlängelte sich die Schotterpiste in nördlicher Richtung, vorbei an Säulenkakteen und den mannigfaltigsten Farben, die ein Tuschekasten je zu Gesicht bekommen hat. Nach der Cuesta del Diablo öffnete sich die spektakuläre Landschaft. Ob ich den Mund überhaupt noch zu bekam, weis ich nicht mehr genau zu sagen, bei dieser inflationär schönen Szenerie. Ständig wechselnde Berggestalten, ob die Pyramide des Putana oder der eher flache Domo Tocorpuri und nicht zuletzt der markante Tatio, schoben sich im Osten einer unüberwindbaren Mauer gleich der Reihe nach ins Bild, gleichzeitig die Grenze nach Bolivien darstellend. Am Paso las Viscachas blies uns ein scharfer, schneidender Wind ins Gesicht. Einem Sandstrahlgebläse gleich flogen die kleinen Sandpartikel wagerecht durch die Luft, und brannten im Gesicht. Weit reichte von hier der Blick nach Norden, der erst an den Vulkanen um den 6000er San Pedro seinen Halt fand. Nun konnte es nicht mehr weit sein. In den Hütten des Erschließungscamps aus den 60er Jahren fanden wir ein Lager für die kalte und klare Nacht. Die Tischtennisplatte war der kultur-sportliche Höhepunkt des Tages. Darauf zu spielen machte allen Spaß, war allerdings in dieser Höhe ein eher kopflastiges Vergnügen. Gleich über dem Camp erhebt sich im Osten genau auf der Grenze der Cerro Zoquete, eher eine „kleine“ Eingehtour. Eigentlich einer dieser vielen „unbedeutenden“ 5000er, kommen diese hier oben doch eher schon fast inflationär vor, für mich aber mein erster 5000er auf südamerikanischen Boden, immerhin 5300m hoch. Langsam an Höhe gewinnend, kamen wir ihm Schritt um Schritt näher, bis zum Schluss der steile Aufstieg auf sein flaches Gipfelplateau erfolgte. Gut 1000Hm weiter oben genoss ich jetzt den Blick auf die vergletscherten 6000er Boliviens, weit in der Ferne, und das dampfende Geysirfeld von diesem Grenzberg. Ca. 6 Stunden nach Aufbruch wieder im Camp, wartete das nächste Badevergnügen auf uns. Inmitten der Dampfsäulen hat man eine der vielen heißen Quellen eingefasst. Im Wasser liegend, waren die Anstrengungen des Aufstieges ganz schnell vergessen. Aber WARUM warnte einen keiner, dass im Boden des Beckens auch noch kleine, von Zeit zu Zeit vor sich hin blubbernde Quellen sich versteckten. Wie von der Tarantel gestochen, schoss ich aus dem Wasser, genau an der empfindlichsten Stelle des Mannes getroffen, schön wenn der Schmerz nachlässt. Am schönsten, am beein-druckendsten wirken die Geysire am frühen Morgen, wenn die ersten Sonnenstrahlen die eisige Kälte der Nacht versuchen zu vertreiben. Dann fühlt man sich wie im Dampfbad des Teufels. Hier steigt das heiße Magma auf, und bringt das Höllenwasser zum kochen. Es blubbert, es zischt, es dampft, es brodelt, es nimmt einen gefangen. Jeder Schritt musste bedacht sein. Hoch reichten die Säulen des infernalischen Dampfes in den blauen Morgenhimmel. Feine ziselierte Ornamente aus Mineralien, geschaffen von der Natur, erfreuten den Betrachter. Wir staunten und versuchten zu begreifen. Seit Ewigkeiten schon heizt hier der Teufel Tag für Tag sein Bad an, unser Besuch dauerte aber nur einen Wimpernschlag. Mein Fotoapparat kam nicht zur Ruhe. Eine Welt, jenseits all des Lärms, der Hektik und der Probleme des Alltags. Ich hatte es schwer mich los zu reißen von diesem „Hotspot“ auf 4300m Höhe. Doch wir wollten ja noch zur Küche des Höllenhundes, in den Vorhof zur Hölle, da wo uns die Erde einen Einblick in ihr Innerstes gewährt.

Die Richtung war uns von nun an vor gegeben, die Strecke zurück nach San Pedro ja schon bekannt, wenn auch durch die entgegen gesetzte Fahrtrichtung sich zwangsläufig andere Eindrücke und Impressionen ergaben, einem Endlosfilm gleich. Berge!! Berge soweit das Auge reichte. Wer sagt denn, dass es in der Wüste keine Schilder gibt, ach was, einen ganzen „Schilderwald“ sage ich. Genau an der Cuesta del Diablo stehen doch sage und schreibe 3, oder waren es gar 4 auf einmal am Schotterpistenrand. Na gut, die Kurve, an der wieder einmal der Teufel seine Hand im Spiel zu haben scheint, ist auch nicht ganz ungefährlich. Das in der Mittagsglut dösende Adobestädtchen San Pedro de Atacama hielt uns nur für eine kurze, erfrischende Rast. Uns zog es nach Süden, so wie die Störche, wenn in Europa der Winter Einzug hält. Viel Verkehr war jetzt nicht mehr zu erwarten. Die schwer beladenen LKWs, mächtig gegen die Höhenluft anstampfend, bogen zur chil.-boliv. Grenze am Paso de Jama ab. Für die nächsten Kilometer gab der riesige Salar de Atacama den stummen Begleiter, dieser riesige Silizium-Chip, diese zu Salz erstarrte Träne des Urozeans. Toconao, die letzte größere Ansiedlung vor „MEINEM BERG“, wieder ein so typisch kleines Örtchen irgendwo im Nirgendwo der endlos erscheinenden Atacama. Kurz danach bogen wir ab, von nun an ging es nur noch aufwärts, immer am Rand des Quebrada de Aguas Blancas entlang. Jetzt sah man nicht nur den Lascar, sondern man roch, man schmeckte ihn auch. Eine kleine weiße Rauchwolke stieg auf, und wurde vom Wind nach SW geweht. Die Asche am Gipfel sah aus wie Schnee, ich war hin und her gerissen, ich war begeistert und hoffte nur, dass er unseren Besuch auch zu ließ, und nicht zu stark grollte. Immerhin zählt er zu den aktivsten Vulkanen Südamerikas, immer für eine Überraschung gut. Einzelne Guanacos kreuzten unseren Weg. Das Gelände ebnete sich wieder ein, und der Lascar entschwand für einen Augenblick aus unserem Blickwinkel. Zwischen den Vulkanen Tumisa und Corona überquerten wir den Tropico de Capricornio, auch für uns sollte er die imaginäre Umkehrmarke sein, südlicher sollte es hier für uns nicht gehen. Laguna Lejia, was für ein Fest für die Augen, was für ein exzentrischer und einsamer Ort. Etwas oberhalb dieser Traum gewordenen Fantasie, schlugen wir die Zelte auf, immer mit Blick auf den Lascar und eine Szenerie, die ihres gleichen sucht, überragt vom fast ebenmäßigen Vulkan Pili. Wie Narben einer längst vergangenen Zeit ragten unzählige Vulkankegel auf, den Zipfelmützen der 7 Zwerge gleich. Fortlaufend machte uns der Lascar mit seiner Rauchfahne verständlich, wer bestimmt, ob wir morgen auf seinen höchsten Punkt gelangen werden, oder auch nicht. Mit der Höhe ist das auch so eine Sache, denn da gibt es mehrere Angaben, resultierend aus dem 93er Ausbruch, als er seine Gestalt abrupt und grundsätzlich änderte. Zum ersten Mal stand ich einem aktiven Vulkan „Auge in Auge“ gegenüber, das Duell konnte beginnen. Noch ca. 15km Luftlinie trennten mich jetzt noch. Hier im Dreiländereck von Chile-Bolivien und Argentinien, hat die Natur mit einer Überschwänglichkeit gestaltet, wie sonst selten auf unserem Planeten. Salzseen, Vulkane, weite und sandige Ebenen und wieder diese vielfältigen Farbkontraste. Am Ufer der Laguna Lejia verbrachte ich noch den Rest des Tages, um alles in mich „auf zu saugen“. Ich wollte so viel wie nur möglich sehen, anfassen, riechen, begreifen und erfahren. Einige Knochen lagen am Ufer, sollen so glaube ich, Reste einer Viehherde sein, welche hier oben umher getrieben wurde. Auf der Suche nach „etwas Grünem“, in dieser „fabelhaften und faszinierenden Einöde“. Der Zeltplatz lag windgeschützt, kamen doch gegen Abend immer Winde, die Stimmen der Wüste auf, die unablässig über die Weiten fegten. Wer sich die Zeit und die Ruhe nahm genau hin zu hören, der verstand ihr Raunen. Die Nacht war angenehm, trotz der Höhe von 4200m. Der Vulkan verhielt sich auch recht ruhig, der Mond stand hell und klar am Firmament, und legte sein silbernes Tuch über all die Hügel, Senken, Grate und Vulkankegel.

 

Am Morgen hielt ich es kaum noch aus vor Aufregung, es sollte endlich losgehen. Zu guter letzt opferte ich ungewollt auch noch Pachamama meine Uhr. Ich hoffte nur, dass sie meine Gabe auch bereitwillig annahm. Nach dem Panoramafrühstück stieg nun meine Anspannung ins unermäßliche. Ich fragte mich, bin ich auch wirklich bereit, ganz nach oben zu kommen, lässt der Lascar auch eine Audienz in der Küche des Teufels zu. Auf den Ladeflächen unserer Pic Ups näherten wir uns, genauer gesagt 12 erwartungsvolle Bergsteiger, dem Vulkan. Eher flach, aber staubig, so dass es ordentlich zwischen den Zähnen knirschte, überbrückten wir die lange und flache Ebene, am Westufer der Laguna Lejia. Bis auf ca. 4600m Höhe die Südflanke hinauf quälten wir die Fahrzeuge. Diese Seite des Vulkans scheint mir auch die beste Möglichkeit einer Besteigung zu bieten. Sicherlich könnte man es auch von Nordwesten aus probieren, aber die Südseite bietet meiner Meinung nach das schönste Erlebnis. Irgendwelche Hochlager sind rein logistisch eigentlich nicht erforderlich. Von der Laguna Lejia ist das ganze doch eher als „entspannte Tagestour“ zu betrachten. Die Rucksäcke wurden geschultert, noch ein Schluck aus der Flasche genommen, die richtige mentale Einstellung ergriffen, und es konnte los gehen. Das Abenteuer Lascar konnte beginnen. Von nun an war jeder auf seine Willensstärke und Kondition angewiesen. Bergsteigen hat viel mit dem Kopf zu tun, nur wer sich auf das Abenteuer einlässt, wer bereit dazu ist sich zu schinden, der kann am Ende auch der Glückliche sein, der wird diesen Moment des Glücks richtig erfahren und erleben können. Aufwärts immer aufwärts, das war jetzt die Devise. Immer den Berg samt der Rauchfahne im Auge behaltend, man konnte ja nie wissen. Genau am Hang zwischen dem Hauptgipfel und dem Crater stiegen wir aufwärts. Das Gelände steil, aber nicht zu steil, es verlangte aber trotzdem alles von mir ab. Je höher wir stiegen, desto freier und umfassender wurde der Blick nach Süden, auf die Vulkane Miscanti, Lejia, Chinchilla,.... Mit jedem Schritt, den ich mich hoch arbeitete, wurde die Laguna immer kleiner, sie generierte mit der Zeit von einem See zu einer Pfütze. Zum Glück hatte der Teufel heute morgen das Frühstück in seiner Küche kurz gehalten, nur kleine Rauchwolken entwichen dem diabolisch, infernalischen Schlund. Doch wenn der Wind sich drehen sollte, wären wir voll seinen Gasen und Dämpfen ausgesetzt gewesen. Ein Stampfen, ein Grollen, ein leichtes Zittern war unser ständiger Begleiter. Das Terrain änderte sich zunächst nicht grundlegend, für die nächsten 2-3 Stunden, die Größe des Gerölls hielt sich in Grenzen. Obwohl ich den Aufstieg schon schwieriger einschätzten muss, als den am Cerro Zoquete. Wir zogen uns weit auseinander, jeder stieg jetzt sein Tempo, immer in Sichtweite der Anderen. Aber eigentlich ist der Aufstiegshang so übersichtlich, und der „Weg“ einfach nicht zu verfehlen. Ich fühlte mich gut, einfach „saugut“. Einfach nur meinen Rhythmus gehen, dann würde ich es auch sicherlich schaffen. Weiter, immer weiter, nur nicht aufgeben; Zentimeter um Zentimeter; Schritt um Schritt; Atemzug um Atemzug, so kämpfte ich mich meinem Ziel langsam aber sicher immer näher. Wer mich kennt, der weis, wenn ich mir mal etwas in den Kopf gesetzt habe, dann zieh ich das auch durch. Natürlich mit dem nötigen Respekt, die solch ein Unterfangen auch verdient. Was würde man jetzt am besten machen, wenn der Teufel nun doch noch die Küche stärker anheizt, schoss es mir immer wieder durch den Kopf. Wo möglich so schnell wie machbar runter vom Berg, immer in der Hoffnung, dass er uns nicht den Rückweg abschneidet. Die Pausen dienten nicht nur zur Regeneration, sondern auch der „Aufnahme“ der Landschaft rings umher. Immer mehr zum Weitwinkelpanorama wurde der Blick nach Süden und Osten, während nach Westen und Norden noch der Lascar die Sicht versperrte. Gerade das mag ich so am Bergsteigen, dieses Gefühl, einem Kondor gleich, der einsam seine Kreise über der Landschaft zieht. Aber warum steigen wir noch auf die Berge? Suchen wir unsere eigenen Grenzen? Oder weil wir mit Gleichgesinnten unterwegs sein wollen und dürfen? Wollen wir etwas Neues sehen, unseren geistigen Horizont erweitern? Ich glaube die Beantwortung dieser Frage fällt uns allen schwer! Jeder muss sich da selbst ein eigenes Urteil bilden! Mir geht es meistens so, ist man auf einer harten Tour unterwegs, schindet man sich und flucht, und schwört sich, das war aber wirklich das letzte Mal. Doch kaum wieder in der Heimat, würde man am liebsten gleich wieder den Rucksack packen, und die nächste Herausforderung in Angriff nehmen. Man scharrt mit den Füßen, einem jungen Fohlen gleich, welches umgehend wieder zurück auf die Koppel will. Die Zeit verging wie im Fluge, den sanften Sattel zwischen der Caldera und dem Hauptgipfel hatte ich erreicht. Nun wurde es endlich flacher, eine Verschnaufpause für die leicht schmerzenden Knie. Die Höhe machte mir keine Probleme. Doch jetzt erfolgte der letzte Steilaufschwung. Einige von uns kämpften sich da schon durch das Blockwerk an der südöstlichen Flanke des Gipfelbereiches. Ich aber wollte meinen Rhythmus beibehalten, nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Die Zelte, an der Laguna, waren jetzt nur noch als kleine farbige Punkte in der braun-ockerfarbenen Wüste aus zu machen. Ich nutzte noch einmal alle meine Kräfte, nur nicht locker lassen. Von hier oben sah die Caldera des Lascar schon Angst einflößend aus. Immer wieder kam mir das Merianbild in den Sinn. Fortwährend stiegen alles verschluckende und übelriechende Rauchfahnen auf, zum Glück alle nicht in unserer Aufstiegsrichtung. Ein ständiges Grollen, Stampfen und Fauchen mahnte uns dennoch zur Vorsicht. Das Terrain weiter fordernd, der Wille weiter ungebrochen, ich legte schon dieses freudige Lächeln auf, dass mich befällt, wenn ich das Ende des anstrengenden, alles abverlangenden Aufstieges schon kommen sehe, schon erahne. Nur noch wenige, wenn auch anstrengende, Schritte, und ich hatte es geschafft. ICH WAR OBEN! - Auf dem Kulminationspunkt 22°22`S und 67°41`W und auf der wahrscheinlichen Höhe von 5154m, oder auch 5450m, oder waren es sogar 5592m. Es kursieren alle diese Höhenangaben in der Literatur über diesen aus Freatomagma und Bimsstein bestehenden Berg, der in der neueren Zeit seit 1875 wieder aktiv ist. Es war kein Traum, es war eine Realität, die ich erst langsam zu begreifen bekam. Mich überkam das Glücksgefühl - die Adrenalinexplosion, mir wurde warm ums Herz - ich war den Tränen nah. Die Schinderei, die Entbehrungen alle Probleme waren jetzt so weit weg, wie der Mars von unserem Planeten. Da konnte der Teufel in seiner Küche auch noch so zürnen. Was für ein Rundumblick, was für ein Erlebnis, was für eine Erfahrung, ich war „AUF MEINEM BERG“. Was ein „einfaches Foto“ doch auszulösen vermag! Nun endlich schweifte der Blick in alle Himmelsrichtungen. Der Staub der Wüste überzog alles mit einem sanften fahlen Licht, legte sich wie ein Seidenschleier über Täler, Hügel und Rippen. All meine Bedenken vom Morgen waren verflogen! Ich hatte mich nicht mehr abschütteln lassen. Unter uns das infernalische Brausen und Röcheln, das diabolische Finale. Man spürte regelrecht den Atem der Erde, den Hauch des Vergänglichen, den Puls der Zeit. Ich war mit mir im reinen. Licancabur, Salar de Atacama, die unendliche, sich in ihren Bann ziehende, Wüste und sogar der Llullaillaco, dieser stolze und mächtige Inkaberg, war in der Ferne aus zu machen. Wenn ich schon damals (1997) geahnt hätte, dass ich dort oben noch zweimal stehen würde, und die besondere Aura dieses Traumberges der Inka erleben dürfte, ich hätte mich wohl selber für verrückt erklärt. Gerade bereit um dem Teufel in seiner Küche zu Diensten zu stehen. Auf uns wartete schon das nächste heilige Bad, diese die Hingabe und Begeisterung zur Atacama entfachende Tour sollte weitergehen.